Dr. Günter Dippold:
Die Anfänge der bayerischen Justiz in
Bamberg: die Oberste Justizstelle für Franken und
das Hofgericht Bamberg 1803-1808
Vortrag / Oberlandesgericht Bamberg,
8.12.2003
Vor wenigen Wochen feierte das
Zentraljustizgebäude in Bamberg seinen 100.
Geburtstag, der Justizpalast - wie schon die
Zeitgenossen Anfang des 20.Jahrhunderts sagten. Der
aufwendige Bau, geschickt geplant von Oberbaurat Hugo
Höfl, dem Justizreferenten der Obersten Baubehörde,
der Bau, der das Oberlandesgericht, das Landgericht
und das erst kurz zuvor vereinigte Amtsgericht
Bamberg aufnahm und der einen neuen städtebaulichen
Akzent in Bamberg setzte, dieser Bau steht in seiner
Zeit nicht allein. Im Juni 1899 hatte der Landtag,
gedrängt von den Erfordernissen reichsrechtlicher
Neuerungen, namentlich durch die raumfordernde Anlage
und Aufbewahrung des Grundbuchs, hatte der Landtag
12,7 Mio Mark für Justizbauten zur Verfügung
gestellt. Um die Größenordnung zu verdeutlichen:
Der Bamberger Justizpalast verschlang über ein
Zehntel, rund 1,5 Mio Mark; kleine Amtsgerichte
kosteten zwischen 100 000 und 150 000 Mark.
Vielerorts hatten zuvor Provisorien
das Bild der Justiz bestimmt, und auch in Bamberg
litt das Oberlandesgericht unter der Enge im Schloß
Geyerswörth. Nun gelang es allmählich"
so ein Biograph des damaligen Justizministers
von Leonrod , die Versäumnisse einer
früheren, auf große Sparsamkeit angewiesenen Zeit
nachzuholen". Binnen weniger Jahre wuchsen
vielerorts Neubauten empor: für die Land- und
Amtsgerichte Aschaffenburg, Bayreuth und Schweinfurt,
für die Amtsgerichte Kulmbach, Karlstadt,
Lichtenfels und Wunsiedel, um nur ein paar Beispiele
zu nennen.
Es häufen sich daher in diesen
Jahren die hundertjährigen Jubiläen bei der Justiz,
bedingt durch eine Entscheidung des Landtags und
verursacht durch die Einrührung des BGB.
Das Oberlandesgericht konnte aber
heuer nicht nur ein einhundertjähriges, sondern
könnte auch ein zweihundertjähriges Jubiläum
feiern, ist doch vor 200 Jahren sein Urahn, das
Hofgericht Bamberg, gegründet worden; aus diesem
Gericht ist 1809 das Appellationsgericht und aus
diesem wiederum 1879 das Oberlandesgericht
entstanden. Die zweihundertjährigen Jubiläen
häufen sich in diesen Tagen überhaupt, und wieder
ist es kein Zufall, sondern erwächst aus politischen
Ereignissen, aus Umwälzungen, aus der
Säkularisation von 1802/03. Die Staatsbibliothek
Bamberg wird heuer 200, das Staatsarchiv, das
Naturkundemuseum, der Hain, die Nervenklinik St.
Getreu, die Frauenklinik, das Bürgerspital im
Michelsberg. Die Dompfarrei und die Pfarrei St.
Gangolf können in wenigen Jahren auf ein
200jähriges Bestehen zurückblicken. Die
flächendeckende Gründung von Landgerichten im
November 1804 gäbe im kommenden Herbst vielen
Amtsgerichten und Landratsämtem Anlaß zum
historischen
Rückblick.
Die Verschiedenart derer, die runde
Geburtstage haben oder bald haben werden, sie zeigt,
daß die Ereignisse von 1802/03 in alle
Lebensbereiche eingriffen, einschnitten. Das wahrhaft
epochale Ereignis der Säkularisation, dem heuer eine
Vielzahl von Vorträgen und eine beachtenswerte
Ausstellung in Bamberg gewidmet waren, es hat Neues
begründet.
Daß lautes Jubilieren unterlassen
wurde, mag mit den Umständen zu tun haben, unter
denen die Institutionen entstanden. Sie ersetzten
jahrhundertealte Strukturen, und mit Neuschöpfungen
ging untrennbar Vernichtung einher. Die Klöster
Banz, Ebrach, Langheim, Michelsberg verschwanden, ihr
geistlich-geistiges Wirken erlosch, die
Chorherrenstifte wurden aufgelöst, die Universität
wurde geschlossen, Kirchen wurden abgebrochen,
Altäre und Glocken versteigert, Kunstwerke aus
Edelmetall eingeschmolzen. Vor solchem Hintergrund
läßt sich nicht unbeschwert feiern.
Auslassen aber soll man Gedenkjahre
nicht; sie befruchten die Forschung und tragen bei
zum Wachsen breiten Geschichtswissens. Deshalb will
ich heute dem Oberlandesgericht zum Zweihundertsten
gratulieren, und ich will das tun, indem ich über
den Urahn berichte, das Hofgericht der Jahre 1803 bis
1808, neben dem in Bamberg das höchstinstanzliche
Gericht für einen Teil Bayerns bestand: die Oberste
Justizstelle für Franken, eine Vorläuferin des
Obersten Bayerischen Landesgerichts. Diese beiden
Gerichte will ich Ihnen zusammen mit ihrer
Vorgeschichte vorstellen. Freilich ist die
archivalische Überlieferung beider Gerichte höchst
dürftig, nicht zuletzt aufgrund von Kriegsverlusten
im Bayerischen Hauptstaatsarchiv. Erwarten Sie
deshalb bitte nicht mehr als ein paar
Mosaiksteinchen.
Am 9. Mai 1803 erklärte der
Generalkommissär, der oberste Vertreter des
Kurfürsten in den neuen fränkischen Landesteilen
Bayerns, alle bis jetzt in [...] Würzburg und
Bamberg provisorisch bestandene und bestätigte
geistliche und weltliche, Landes- Justiz- und
Administrativ-Stellen nebst den ihnen untergeordneten
besondern Commissionen ohne Ausnahme" für
aufgelöst. Statt dessen wurden nach altbayerischem
Vorbild für das Fürstentum Bamberg eine
Churfürstliche Landesdirection" und ein
Churfürstliches Hofgericht" geschaffen,
ebenso für Würzburg, ferner die Oberste
Justizstelle mit Sitz in Bamberg als
letztinstanzliches Gericht für diese Territorien.
Das bedeutete einen glatten Bruch mit der vorherigen
Entwicklung, jedenfalls was die Institutionen anging.
In personeller Hinsicht gab es dagegen durchaus
Kontinuitäten. An die Spitze des Hofgerichts Bamberg
rückte zwar ein Pfälzer, an die der Obersten
Justizstelle ein Westfale, doch ihre Vertreter, die
jeweiligen Direktoren, kamen aus
fürstbischöflich-bambergischen Diensten. Direktor
der Obersten Justizstelle wurde der ranghöchste
nichtadlige Amtsträger im aufgehobenen Hochstift
Bamberg, der 66jährige Hofkanzler Adam Joseph
Pabstmann, zum Direktor des Hofgerichts stieg der
erst 35jährige Hof- und Regierungsrat und
Universitätsprofessor Georg Michael Weber auf.
Weber gehörte zu den jungen,
begabten Juristen im bambergischen Beamtenkörper,
die, von aufklärerischen Ideen durchdrungen, von
neuen Theorien eingenommen, von Reformeifer beseelt,
auf Verbesserungen im Staatswesen drangen, sich
jedenfalls danach sehnten, und die sich mit einer
Unbeweglichkeit, zumindest aber ausgeprägten
Trägheit konfrontiert sahen. Diesem Ärger über das
bestehende System machte Weber nach dem
Regierungswechsel Luft. Als seine lange Studie
Ueber die Justizverfassung in den kurfürstl.
fränkischen Fürstenthümern" erschien - in
einem Journal, das in Coburg verlegt und von einem
einstigen Ebracher Mönch und Klosterhasser redigiert
wurde -, als diese Arbeit in der zweiten
Jahreshälfte 1803 im Druck erschien, war sie
freilich schon unaktuell. Was Weber kritisierte, war
am 9. Mai 1803 mit einem Federstrich weggewischt
worden. Gerügt wurde seine beißende Kritik
dennoch.
Der erste Satz zeigt die Tendenz:
Die Justizverfassung in den kurfürstl.
fränkischen Fürstenthümern ist [...] nicht am
besten beschaffen, und dies nicht aus Mangel an
Räthen, nicht aus Mangel an Gesetzen, sondern aus
Mangel gehöriger Dikasterialverfassung." Diese
vermeintlich fehlerhafte Behördenstruktur nahm Weber
aufs Korn, denn sie sei dafür verantwortlich,
daß jährlich zwey Drittheile der Civilsachen
liegen bleiben. Durch die große Ueberzahl der
Advokaten sind der Prozesse täglich mehrere
geworden, ohne daß dagegen mehr Civilsachen, als
sonst, aufgearbeitet worden wären."
Im alten Hochstift Bamberg
das Weber zusammen mit Würzburg beschreibt - im
Hochstift hatte die Regierung das oberste
Justizgremium gebildet. Man erschrickt, wenn
man im Staatskalender das große Heer von geheimen
Hof- und Regierungs-Räthen liest: aber noch größer
ist das Erstaunen, wenn man die brauchbaren und
arbeitenden Mitglieder zusammen zählet." Man
müsse nämlich die meisten adligen Räte abziehen,
ferner die Leiter einer Zentralbehörde,
aufgestiegene subalternen Beamten, die sehr alten und
die sehr jungen Räte.
In der Tat gehörten dem Bamberger
Regierungskollegium - zumindest nominell - sage und
schreibe 76 Hof- und Regierungsräte an, davon 31
adliger Herkunft. Immerhin fielen einem bayerischen
Beamten, der im Herbst 1802 über die Verhältnisse
des Bamberger Staats zu gutachten hatte, einige
ausgezeichnete Männer" auf, die
ihrer Stelle Ehre machen, dem Staate mit Nutzen
dienen, und gehörig verwendet, gewiß mehr als
bisher nuzen werden" (unter ihnen Weber). Doch
zeigt diese Bemerkung zugleich, daß der Beurteilende
die Mehrzahl der Räte als wenig geeignet ansah.
Eine aus so vielen Theilen
zusammen gesetzte Maschine muß sich der Regel nach
[...] äusserst langsam bewegen", meinte Weber.
Das langsame Votiren, welches durch so viele
Glieder gehet, und wobey sich mancher noch dazu in
einem Pathos wiedergekäuter Ideen gefällt, nimmt
sehr viele Zeit hinweg".
Die Langsamkeit lag offen zutage,
und schon der letzte Fürstbischof bemühte sich um
Abhilfe, um den Geschäftsgang zu beschleunigen,
teilte er das Regierungskollegium in zwei Senate, von
denen der erste primär administrative und
außenpolitische, der zweite Justizaufgaben wahrnahm.
Doch die Reform blieb halbherzig; sie litt darunter,
daß die Senate nicht stabil waren. Erst wenn
14 Räthe in dem Sessionszimmer des ersten
Senates gegenwärtig" waren, konnte der
Präsident 7 von denselben zu ernennen, die
dann den zweyten Senat bilden"; die
Personenauswahl traf er nach Belieben.
Weber sah den
Hauptfehler" darin, daß Justiz und
Verwaltung nicht getrennt seien. Dadurch kämen
leicht Ucbergriffe von einer Sphäre in das
Gebieth der anderen" vor, auch mußten die
Justizsachen den Regierungssachen immer nachstehen.
Regierungssachen lassen sich nicht so leicht
aufschieben [...]. Drängen sich nun viele
dergleichen Sachen zusammen, wird noch dazu [...1
lange referiret und votiret, über jedes Komma und
Punktum deliberiret und deliberiret; so bleibet wenig
oder gar keine Zeit für die Civilsachen mehr
übrig."
Zusätzlich kompliziert wurde, so
Weber, die bambergische Justiz durch die Vielzahl der
Gerichtsstellen". Neben der Regierung, die
für Angelegenheiten ihrer Räte die erste Instanz
bildete, die zweite für die Außenämter und
die dritte bey Revisionen, und in Appellationen
von den Kanzleyen der Klöster", neben der
Regierung bestand das Hofgericht, das sich aus
Regierungsmitgliedern zusammensetzte; hierhin waren
Appellationen gegen Entscheidungen des Kaiserlichen
Landgerichts, des Domkapitels, des Hofmarschallamtes
und die kloster-michelsbergischen Pfortengerichts zu
richten. Das Landgericht, im Mittelalter zuständig
für die Ritterschaft, war im wesentlichen nur noch
Vormundschaftsgericht und befaßt mit
Nachlaßangelegenheiten privilegierter Personen wie
der Hofbeamten. Es hat dasselbe", so
Weber, verschiedene Collissionen mit anderen
Gerichten"; man sehe daran das Fehlen einer
strengen Grenzbestimmung zwischen den
verschiedenen Gerichtsstellen des Landes". Obere
Gerichtsstellen waren weiterhin das Kabinett, der
engste Führungszirkel im Staat, die Universität,
die Oberbergwerkskommission, der Hofkriegsrat, das
Hofmarschallamt und die
Kriegsentschädigungskommission - ein selbst für
Insider schwer durchdringliches Dickicht an
Zuständigkeiten.
Obendrein gab es eine Instanzenebene
über den Bamberger Gerichten; wer hier unterlag,
konnte immer noch dagegen vor den Reichsgerichten
klagen, vor dem Reichskammergericht in Wetzlar oder
dem Reichshofrat in Wien. Als etwa der Bamberger
Schiffermeister und Hotelier Joseph Ernst Strüpf
1802 eine mit Steinkohlen befeuerte Glasfabrik an der
Weide errichten wollte, stoppten Bamberger, die eine
Beeinträchtigung durch Rauch fürchteten, den Bau
durch eine Klage in Wetzlar.
Im Rückblick erschien das
bambergische Justizsystem schon denen, die ihm noch
selbst angehört hatten, als rückständig - und das
auch im wörtlichen Sinn: Rückstände gab es zuhaut
Gewiß war das vielgescholtene System überholt, aber
immerhin, im 16. Jahrhundert eingerührt, hatte es
sich lange Zeit bewährt. Um so lauter ertönte nun
der Ruf nach Reform. Ich zitiere Weber: All
dieser Unfug, all diese Verwirrung, welche durch
diese Complicirung der Gerichte entstehet, muß
geradezu aufhören, und die alte Simplicität der
ersten Zeiten der teutschen Nation an ihre Stelle
treten."
Neuerung kam, noch bevor Webers
Aufsatz gedruckt war. Kaum hatte am 29. November
1802 der letzte Fürstbischof seine weltliche
Herrschaft niedergelegt und der Kurfürst von Bayern
die Landeshoheit übernommen, gliederte Franz Wilhelm
Freiherr von Asbeck (1760-1826), der in
kurfürstlichem Auftrag den Herrschaftswechsel zu
organisieren hatte, die Regierung neu. Sie habe, so
ordnete er an, ihre Räte in zwei stabile"
Senate aufzuteilen; beide bestanden demnach
dauerhaft, und jedem Senat gehörten bestimmte Räte
an.
Der erste Senat war fortan
zuständig für Verwaltungsangelegenheiten, der
zweite für die Zivil- und Strafgerichtsbarkeit. Für
die Rechtsstreitigkeiten, in denen bis dahin
Reichsgerichte angerufen worden waren, sollte der
erste Senat als Oberappellationsinstanz"
dienen, denn die Appellation an den Reichshofrat oder
das Reichskammergericht wurde untersagt; lediglich
laufende Prozesse durften weitergeführt werden.
Von Würzburg aus dirigierte der
Generalkommissär - Johann Wilhelm Freiherr von
Hompesch, später Friedrich Karl Graf von Thürheim -
die Eingliederung der Mainbistümer in den
bayerischen Staat; in Bamberg führte Asbeck als
Subdelegierter Zivilkommissär die Geschäfte.
Alsbald holte er sich einen Mann an die Seite, der
die Bamberger Menschen und das Bamberger Recht
kannte: Georg Michael Weber. Am 7. Dezember 1802
teilte er der Regierung mit, die subdelegirte
Civilkommission" habe zur Beförderung der
in ihrem Wirkungskreise liegenden Geschäfte bis auf
weitere höchste Anordnung den Hofr[ath] Weber
bestimmt". Weber, mit mehreren Beamtenfamilien
versippt und verschwägert, beriet Asbeck offenbar
bei Personalien: Er hatte, wie ein späterer
Vorgesetzter schrieb, eine Karakteristik der
hiesigen Individuen" zu erarbeiten; er
gutachtete also, welche hochstiftischen Beamten für
welche Positionen in der neuen Verwaltung
verwendbar seien. Dies habe ihm Feindschaften
zugezogen", denn sein Papier sei nachher
verraten worden".
Neuerungen standen an. Die
Umstrukturierung der Regierung war von vornherein nur
als Provisorium gedacht; im Hintergrund wurden neue
Instrumente der Verwaltung und der Rechtsprechung
geschmiedet. Am 27. April 1803 ordnete Kurfürst
Maximilian IV. Joseph an, daß für das Fürstentum
Bamberg ein Hofgericht zu gründen sei - das
Fürstentum bestand ja fort, wenn auch mit
bereinigten, geglätteten Außengrenzen.
Das Hofgericht war zuständig für
die bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten privilegierter
Personen - etwa von Adligen, höheren Beamten oder
Geistlichen -; es bildete für alle übrigen,
deren Streitsgegenstände bey einer untern Behörde
hängig waren, die Appellations- oder zweyte
Instanz"; ferner rührte es sämtliche
Strafverfahren im Fürstentum.
Zwar hatte das Hofgericht für seine
Verfahren die bayerische Gerichtsordnung
anzuwenden, für seine Entscheidungen aber das
hergebrachte Bamberger Landrecht oder, sofern dieses
keine einschlägigen Normen enthielt, das
Gemeinrecht". Zwar erwogen der Kurfürst
und seine Regierung, das Baierische
Bürgerliche Gesetzbuch" auf die neubayerischen
Gebiete zu übertragen, das Besorgniß aber,
daß dasselbe nicht in allen Puncten der
verschiedenen Verfassungen Unserer
Entschädigungslande werde angepaßt werden
können", machte zunächst einen Vergleich
zwischen dem Gesetzbuch und dem Bamberger und
Würzburger Recht erforderlich. Diese Aufgabe wurde,
was Bamberg anging, Georg Michael Weber übertragen.
Schließlich galt jedoch das Bamberger Landrecht,
1807 von Weber neu kommentiert, viele Jahrzehnte
fort.
Ebenfalls am 27. April 1803
veranlaßte Kurfürst Max Joseph die Gründung einer
Obersten Justizstelle für Franken. Saß der
Generalkommissär in Würzburg, so erhielt Bamberg
zum Ausgleich dieses Gericht. Die oberste
Justizstelle als das Surrogat der höchsten
Reichsgerichte urtheilt in allen bürgerlichen
Rechtsstreitigkeiten, die an dasselbe gebracht
werden, in letzter Instanz und gegen derselben
Erkenntnisse findet weder eine weitere Berufung noch
ein anderes ordentliches Rechtsmittel mehr
Platz."
Am 9. Mai 1803 setzte
Generalkommissär Graf Thürheim die Weisung in die
Tat um und verkündete die Gründung beider Gerichte.
Wo sie anfangs untergebracht waren, ist unklar; die
Oberste Justizstelle jedenfalls bezog nach wenigen
Monaten, im Oktober 1803, das ehemalige Kapitelshaus
neben dem Dom. Das Domkapitel war im Februar 1803
aufgehoben worden, das Verwaltungs-, Sitzungs- und
Repräsentationsgebäude damit verfügbar geworden.
Auch das Hofgericht war hier untergebracht.
1803 gab es in Bayern drei Oberste
Justizstellen: Die Münchner war zuständig für
Ober- und Niederbayern, die Oberpfalz und das
Fürstentum Neuburg; es war aus dem 1645 gegründeten
Revisorium erwachsen. Ulm - die ehemalige Reichsstadt
war von 1802 bis 1810 bayerisch - beherbergte die
Oberste Justizstelle für Schwaben, und in Bamberg
saß die fränkische.
Präsident in Bamberg wurde der als
Subdelegierter Zivilkommissär bewährte Franz
Wilhelm Freiherr von Asbeck, damals 43 Jahre alt; er
bezog 5000 Gulden Jahresgehalt. Zum Vergleich: Ein
Lehrer sollte es mindestens auf 300 bringen, was
nicht überall erreicht wurde. Als Direktor (mit 3500
Gulden im Jahr) und damit Asbecks Vertreter amtierte
der beinahe eine Generation ältere einstige
Bamberger Hofkanzler Pabstmann, der schon 1804 starb.
Ihm folgte Constantin Ludwig Freiherr von Weiden
nach, erst 33 Jahre alt. Bis 1803 war er Oberamtmann
zweier würzburgischer Ämter und Hofrat gewesen,
dann zum ranghöchsten Rat der Obersten Justizstelle
ernannt worden. Zum Direktor avanciert, residierte er
in einem stattlichen Haus am Kaulbergfuß, unterhalb
des Ebracher Hofs. Einen weiteren Direktor erhielt
das Gericht 1807 mit Joseph von Ullheimer. Der
gebürtige Bamberger war 1789 von den katholischen
Ständen Frankens zum Assessor am Reichskammergericht
gewählt worden; mit dessen Aufhebung trat er in
bayerische Dienste.
Weiterhin umfaßte die Oberste
Justizstelle zehn Räte. Da sie die Oberinstanz für
die Hofgerichte in Bamberg und in Würzburg war,
gehörten ihr Würzburger Räte an, Juristen, denen
das Würzburger Landrecht vertraut war.
Eine eigene Kanzlei hatte die
Oberste Justizstelle nur im ersten Jahr ihres
Bestehens, waren in dieser Zeit doch umfangreiche
Orientierungs- und Ordnungsarbeiten nötig. Mitte
1804 aber löste der Kurfürst die Kanzlei auf und
versetzte die Kanzlisten zum Hofgericht, das künftig
für die Oberste Justizstelle Schreib- und
Registraturarbeiten versah.
Die Streitparteien konnten ab August
1803 vor der Obersten Justizstelle nur noch durch
Bamberger Advokaten vertreten werden; auswärtige
Advokaten mußten einen Bamberger Kollegen als
Prokurator beauftragen, was die Bamberger
Anwaltschaft -1808 zählte man 18 Advokaten in der
Stadt - ungemein begünstigte.
Der Amtsbezirk der Obersten
Justizstelle wandelte sich infolge der politischen
Umwälzungen mehrmals. Wie im Frieden von Preßburg
bestimmt, schied 1806 das Fürstentum Würzburg aus
dem bayerischen Staatsverband aus und fiel im
Austausch gegen das Kurfürstentum Salzburg inklusive
Eichstätt an Großherzog Ferdinand von Toskana,
einen Habsburger. Die aus dem Würzburgischen
gebürtigen Hofgerichts- und obersten Justizräthe zu
Bamberg wurden ihres Dienstes entlassen, und in ihr
Vaterland zurückgeschickt", berichtet Jäck.
Namentlich zogen die fünf Würzburger obersten
Justizräte ab; vier Räte der Landesdirektion
Bamberg rückten ins Gericht auf sowie der im Vorjahr
wegen eines Hungerkrawalls zurückgetretene Bamberger
Polizeidirektor Franz Ludwig Hornthal, nachmals
Bürgermeister von Bamberg und führender
Frühliberaler.
1806 gelang es dem nunmehrigen
Königreich Bayern, das preußische Fürstentum
Ansbach zu erwerben; alsbald wurde es dem Sprengel
der Obersten Justizstelle Bamberg zugewiesen. Anders
als in Bamberg, führte man dort allerdings nicht die
Bayerische Gerichtsordnung ein. Die preußische
Gerichtsordnung soll bis auf weiters im Fürstenthume
Ansbach noch fortbestehen"; auch die Oberste
Justizstelle hatte dieselbe in den
ansbachischen Rechtshändeln zur Richtschnur ihres
Verfahrens zu nehmen".
Ab Oktober 1806 wurde die Oberste
Justizstelle Bamberg zur Revisionsinstanz für das
Hofgericht Amberg bestimmt; bis dahin war München
zuständig gewesen. Das 1806 zu Bayern gekommene
Fürstentum Eichstätt, obwohl einst dem fränkischen
Reichskreis zugehörig, wurde hingegen der Obersten
Justizstelle Ulm zugeteilt.
Vor allem erlosch 1806 das Heilige
Römische Reich Deutscher Nation und mit ihm das
Reichskammergericht und der Reichshofrat.
Streitparteien, die ihren dort schwebenden Prozeß
fortsetzen wollten, mußten ihre Akten von Wetzlar
oder Wien nach Bamberg schaffen und der Obersten
Justizstelle übergeben. Bei dieser
Gelegenheit, so wußte der Bamberger Bibliothekar
Joachim Heinrich Jäck zu berichten, wurden
viele streitende Partheien theils durch gütlichen
Versuch der Behörde, theils durch freiwilliges
Nichtfortsetzen des Prozesses versöhnt."
Kennen wir die Oberste Justizstelle
nur in Umrissen, so wird das Hofgericht für uns
greifbarer.
Es war zuständig für die
Erkenntniß über alle
Criminal-Verbrechen", bildete die erste Instanz
für Rechtsstreitigkeiten privilegierter Stände,
namentlich des Adels, und die zweite Instanz für
Differenzen aller übrigen Untertanen. Die
Landgerichte waren ihm in Fragen der Rechtsprechung
unterstellt.
An die Spitze des Hofgerichts berief
der Kurfürst 1803 den öljährigen Ferdinand Adrian
Freiherrn von Lamezan. Der gebürtige Mannheimer
hatte in kurpfälzischen und dann in kurbayerischen
Diensten hohe Staatsämter versehen, zuletzt das
eines Landesdirektionsvizepräsidenten. Lamezan hatte
1781 eine Skizze über die Gesezgebung"
veröffentlicht, die ihn als aufkärerischen
Idealisten ausweist. Jedes Volk habe, so glaubte er,
ein bestimmtes, naturgegebenes Ziel, dem es zuneige,
zustrebe. Die Gesetzgebung diene lediglich der
Wegschaffung von Hindernißen [...], die sich
dem Fortgange des Volkes zu seinem glücklichen und
natürlichen Enzwecke widersezen [...].
Der einfache natürliche Hang eines Volkes ist also
jenes, worauf der Gesezgeber hauptsächlich zu sehen
hat". Aus der gleichen Zeit stammt eine Studie
Welches sind die besten ausführbaren Mittel,
dem Kindermord abzuhelfen, ohne die Unzucht zu
begünstigen?", nachdem er schon Jahre zuvor
beigetragen hatte, die Todesstrafe für
Kindsmörderinnen abzuschaffen und eine
Entbindungsanstalt in Mannheim zu gründen. Lamezan
verkehrte mit Iffland, korrespondierte mit Lavater,
ihn bewunderte der junge Theologe Johann Michael
Sailer, kurz: er gehörte zu der durch
Freundschaftskult geprägten deutschen
Gelehrtenrepublik des ausgehenden 18. Jahrhunderts.
Unverheiratet, hatte er die sechs Kinder eines
Düsseldorfer Vetters aufgezogen. Ein Mannheimer
Zeitgenosse bezeichnete ihn als einen der
rechtschaffensten Männer seines Vaterlandes".
In Bamberg, wo er eine ehemalige
Domherrnkurie bewohnte - den Zobelschen Hof
vis-á-vis dem Langheimer Hof-, fand Lamezan großen
Anklang, wie Jack berichtet: Er hat sich durch
seine Kenntnisse, Geschäftsthätigkeit und
Biederheit die unbedingte Achtung aller, welche ihn
kennen lernten, erworben [...]. Seine Bescheidenheit
war gränzenlos." 1806 aufsein Drängen hin in
den Ruhestand versetzt, verabschiedete er sich mit
der ihm eigenen Würde und der sichtbarsten
Rührung" von seinen Bamberger Gerichtsräten
und kehrte nach Mannheim zurück.
Seine Nachfolge trat Johann Anton
von Ow an. 1748 geboren, hatte er ab 1790 als
dirigierender Minister des Hochstifts Eichstätt
füngiert - ein Amt, das er auch behielt, als ab 1803
Großherzog Ferdinand von Toskana über Eichstätt
regierte. Es hatte seinem Fortkommen gewiß die Ehe
nicht geschadet, die er 1775 schloß: Seine Frau,
Klara Gräfin von Stubenberg, war eine Nichte des
damaligen Eichstätter Fürstbischofs Raimund Anton
Graf von Strassoldo und eine Schwester des letzten
Eichstätter Fürstbischofs Joseph Graf von
Stubenberg, der 1821 der erste Bamberger Erzbischof
wurde.
Freiherrn von Ow wurde 1807 ein
Vizepräsident an die Seite gestellt: Karl August
Freiherr von Seckendorff, 33 Jahre alt. 1800 hatten
ihn die evangelischen Stände Frankens zum Assessor
des Reichskammergsrichts berufen, sozusagen zum
Gegenstuck Ullheimers. Gleichzeitig mit diesem zog
Seckendorff von Wetzlar nach Bamberg.
Vom Verlauf seiner Amtseinführung
hat sich ein detaillierter Bericht erhalten. Er
zeigt, wie sich das Gericht in einem geradezu
höfischen Zeremoniell zu inszenieren wußte:
versammelte sich [...] Morgens das ganze
Hofgerichtspersonal in Galla [...], und als um 9 Uhr
der Wagen, in welchem Se Excellenz der Herr
Praesident Freyh. von Ow den Herrn Vice-Praesidenten
Freyherm von Seckendorf abholten, an dem
Hofgerichtsbau angefahren kam, waren die
Kanzleydiener mit den Bornen bereits an der
Hauptthüre aufgestellt, um die Kutschenthüre zu
öffnen und beeden hohen Vorständen ihre
Unterthänigkeit zu bezeigen. An der Haupttreppe
unterstunden der Repartitor [eine Art Hausbote] mit
dem Kanzleypersonal zu gleichen Entzweck, begleiteten
die Herren Praesidenten bis auf die Mitte der Treppe,
wo der Expeditor mit dem Registraturpersonal ihre
Ehrfurcht darlegten, welches oben auf der Treppe von
den dort gestandenen beeden Secretairen ebenfalls
geschah. Sämtlich dieses Personal bildete, indem
sich eines an das andere anschloß, einen Zug bis an
das Sitzungszimmer, wo Sr. Excellenzien von den
zweien jüngsten Räthen becomplimentirt und bei
geöffneten beyden Thürflüglen eingeführt wurden,
ohne daß [...] das Registratur und Kanzleypersonal
[...] mit in das Sessionszimmer giengen. Hier stellte
Sr. Excellenz der Herr Praesident sämtliche Räthe
mit namentlicher Benennung eines jeden dem Herrn
Vicepraesidenten Excellenz vor, ließ Platz nehmen
und introducirte mit einer passenden Rede den Herrn
Vicepraesidenten", den er dann vereidigte.
Neben Präsident und Vizepräsident
hatte Georg Michael Weber als Hofgerichtsdirektor
eine herausgehobene Position, und überdies betraute
ihn der Kurfürst wiederholt mit Sonderaufgaben auf
dem Feld der Legislative. Acht Räte gehörten dem
Gericht an, von denen wohl nur einer aus München
kam; die Mehrheit stellten Bamberger. Zwar kennen wir
nicht von allen die Biographie, doch die relative
Jugend sticht ins Auge: Keiner war älter als 42,
mehrere noch nicht 30.
Das Hofgericht begann seine Arbeit
mit schweren Hypotheken. Die aufzuarbeitenden
Rückstände erschienen Lamezan Ende 1803 waren
ungeheuer: Vierhundert bei voriger Regierung
unerledigt gebliebene Rechtshändel, [...] eben so
viele von dem vorigen Domkapitel, Stifter,
Praelaturen und sonstigen Jurisdictionen ererbte
Prozesse, die fast alle neuerdings betrieben
werden". Obendrein hatte das Hofgericht
Aktenmaterial in völliger Unordnung übernommen, wie
Lamezan bei anderer Gelegenheit beklagte: Es
sind nemlich bei Gelegenheit der pfalzbayrischen
Besiznahme dahier, da das Archiv in Zeit von vier und
zwanzig Stunden seine Behaelter räumen muste, eine
Menge [...] Acten teils verschleudert, teils in
sonstige Plaeze und unterirrdische Gewölben
verbracht worden. Ich war bisher bemüht, die an
verschiedenen Orten zerstreute Papiere zusammen und
in Ordnung zu bringen; allein es mangelte der Plaz,
und erst vor einer Woche gelang es uns nach mehreren
Monitorien einen Ort durch die kurfürstliche
Landesdirection auszumitteln, wohin man die aus den
Gewölben aufzuholende Acten hinbringen könnte. Es
kommen nun schon die Acten zu hundert Paqueten au
diesen ihren Behaelter, und es erfordert eine
besondere Mühe, sie nach ihren verschiedenen
Gegenstaenden, Abeilungen und Unterabteilungen zu
registriren".
Überdies führten die Umwälzungen
der Jahre 1802/03 zu einer regelrechten Prozeßwelle.
Lamezan berichtete Anfang 1806, es würden viele
Rechtsstreite gegen die Staatsbehörden wegen
Pensionsschmaelerung" geführt. Angehörige des
aufgehobenen Domkapitels, aufgehobener Klöster und
Stifte, aufgehobener Behörden, nicht mehr benötigte
Bedienstete des Hofs oder der Abteien und viele
andere fühlten sich bei der Bemessung ihrer Pension
benachteiligt und beschritten den Klageweg.
Zu bedenken ist ferner, daß in
Strafsachen die Räte die Untersuchung zu führen
hatten. Das wohl umfangreichste Verfahren für das
Hofgericht bildete der Fall der Protestanten in
Michelau bei Lichtenfels: Seit 1804 diente die
dortige Annakapelle als Simultaneum. Die
evangelischen Einwohner, die das nicht hinnehmen
wollten, verschanzten sich am 3. November 1805 hinter
der Kirchhofmauer und verhinderten den Einzug des
katholischen Pfarrers, obwohl ihn das Bürgermilitär
der Nachbarorte eskordierte. Anfang 1806 hielten sich
zwei Hofgerichtsräte, ein Katholik und ein
Protestant, wochenlang in Lichtenfels auf, um Zeugen
zu verhören; bei dieser Gelegenheit stellten sie mit
Hilfe von Soldaten sicher, daß ein katholischer
Gottesdienst ungestört stattfand. 93
Gefängnisstrafen, meist nur wenige Tage, wurden
verhängt, 39 Angeklagte freigesprochen.
Im Herbst 1805 und im Kriegsjahr
1806 gehörte überdies der l. Rat von Fischer der
Anspannkommission an, die Pferde für
Militärtransporte einteilte, und nahm deshalb kaum
an Sitzungen teil. Ähnlich erging es dem Rat Joseph
Stürzer aus Hemau, einst Rechtsprofessor in
Landshut, der mit einem Landesdirektionsrat zusammen
die Einquartieningskommission bildete, also Soldaten
auf die Bürgerhäuser der Stadt zu verteilen hatte -
eine unangenehme Aufgabe, die Stürzer jedoch mit
Bravour bewältigte. Er begründete, so Jäck,
bei dieser Gelegenheit seine Bekanntschaft mit
allen Familien, welchen seine sanfte und liebevolle
Behandlung unvergeßlich geworden ist".
Die Arbeit des Hofgerichts war
weiterhin dadurch belastet, daß es die
Kanzleiarbeiten für die Oberste Justizstelle zu
erledigen hatte. Im Vorfeld der Schaffung von
Landgerichten oblag es 1804 den Hofgerichtsräten,
die in Frage kommenden Beamten zu beurteilen. Ferner
nahm es die Aufgaben eines Ehegerichts für die
Protestanten wahr, weshalb der Kurfürst Ende 1804
mit Johann Heinrich Stepf, dem ehemaligen
Ratskonsulenten der Reichsstadt Schweinfurt, einen
evangelischen Juristen zum Hofgerichtsrat berief.
Das alte System vor 1803 mit seinen
aufgeblähten Verwaltungs- und Justizgremien, mit
seiner Langsamkeit, mit unscharfen Kompetenzen fand
nun, im Bayern Maximilian Josephs und Montgelas', ein
Ende -jedenfalls erweckten die neuen Herren diesen
Eindruck. Die Grenzen zwischen Behörden waren scharf
gezogen - zumindest in der Theorie. Die Praxis sah
anders aus.
Wiederholt kollidierten in Bamberg
Verwaltung und Justiz, Landesdirektion und
Hofgericht. Denn eine Verwaltungsgerichtsbarkeit
gab es nicht; wer sich durch eine Entscheidung der
Landesdirektion benachteiligt fühlte, konnte sich
ans Hofgericht wenden; dieses nahm die Klagen, wie es
scheint, bereitwillig an und entschied nicht selten
zuungunsten der Verwaltungsbehörde. Das machte
böses Blut. Im Juni 1804 schrieb Präsident Lamezan
an den Kurfürsten: Das allgemeine Gerücht
verbreitet sich hier, und es wird laut davon
gesprochen, daß die hiesige Kurfürstl
Landesdirection [...] auf eine Versezung mehrerer
Mitglieder des dahiesigen K[urfürstlichen]
Hofgerichts [...] angetragen habe". Unmittelbar
nach dem Weggang Lamezans wandte sich umgekehrt die
Landesdirektion hilfesuchend an den König:
Eurer Königl. Majestät sehen wir uns
gemüssiget, allerunterthänigsten Vortrag über die
Konflicte zu machen, in die wir uns fast täglich mit
dem königl. Hofgerichte verwickelt sehen. Diese
Justizstelle scheint uns ihre Gränze weit zu
überschreiten, indem sie fast alle Regierungssachen
zu Justizsachen qualificirt und sich für kompetent
erklärt, über den Umfang und die Administration
aller Zweige der Staatsgewalt zu richten." Der
König sah das Hofgericht zwar als von
Pflichtgefühle und von reinen Absichten"
beseelt, unterstützte aber die Landesdirektion.
Die Sprache war scharf, man erahnt
persönliche Animositäten hinter den Kulissen. Die
Behördenchefs Lamezan und Stengel kannten einander
aus Mannheim, und sie schätzten sich offenbar auch;
schon die Väter, hochrangige Beamte, waren Kollegen
gewesen. Möglicherweise waren es eher die
einheimischen Kräfte, die, in der zweiten Reihe
stehend, Hahnenkämpfe austrugen: auf der einen Seite
Hofgerichtsdirektor Weber, der eine deutliche Sprache
schätzte und sich, wie erwähnt. Feinde gemacht
hatte, auf der anderen die Direktoren und Räte der
Landesdirektion.
Wie wenig die Chemie zwischen
Verwaltung und Justiz stimmte, illustriert ein Streit
im Herbst 1806 zwischen Hofgerichtsdirektor Weber und
dem Vorstand des Rentamts. Es ging um einen kleinen
Garten neben dem Kapitelshaus, den beide für ihre
Behörde beanspruchten. Als das Rentamt, ohne lange
nach dem Hofgericht zu fragen, einen Gärtner mit
Arbeiten auf dem Grundstück beauftragte, ließ ihm
Weber durch einen Gerichtsboten drohen, ihn aus dem
Garten zu werfen.
Andererseits war dies ein
Einzelfall. Empfindsames, kultiviertes Auftreten
prägte das Bild. Die Angehörigen der Gerichte, ob
Alt- oder Neu-Bamberger, bildeten eine belebende
Kraft im gesellschaftlich-kulturellen Leben der
Stadt; etliche gehörten der Bürgergesellschaft
Harmonie" an. Mancher Gerichtsrat
versuchte sich künstlerisch, schmiedete munter
Verse, etwa der vielerwähnte Weber.
Einen anderen will ich Ihnen kurz
vorstellen: Johann Georg Bayl. Ab 1802 ao.
Rechtsprofessor, wurde er 1803 Hofgerichts-, 1809
Appellationsgerichtsrat, 1821 dann Bürgermeister von
Bamberg wie Jäck schreibt, trotz des
bekannten Mangels administr. Praxis und
Energie". Schon vor 1803 verfaßte er (wieder
zitiere ich Jäck) viele so natürlich
fließende Gedichte, daß jeder Freund der Dichtkunst
und des Vaterlands [...] wünschen wird, bald eine
ganze Sammlung derselben zu erhalten". Ein
Bändchen mit Bayl Gedichten, die dem heutigen Leser
allerdings eher gekünstelt vorkommen, ein
Gedichtbändchen erschien erst postum, im Jahr 1835.
Eine Kostprobe, zwei Gedichte, will ich Ihnen nicht
vorenthalten, haben sie doch den Beruf Bayls zum
Thema.
Das eine, überschrieben Die
Bestimmung", ist das kürzeste im ganzen Buch:
Gott schuf mich zum Dichter,
und ich ward ein Richter!
Daran schließt sich folgendes
Gedicht an:
Der Dichter und Richter.
Gerne möcht' ich dichten,
Aber dichten darf ich nicht;
Richten sollst du, richten!
Ruft mir zu die ernste Pflicht.
Lege deine Lieder,
Kunst und Leier nieder!
Nie nach Idealen
Soll dein Streben ferner geh'n!
Regenbogen-Strahlen
Sind es, die wie Dunst vergeh'n.
Für die ernste Wirklichkeit
Halt dein Leben nur bereit!
Göttin! deine Worte
Machen mir zu tiefen Schinerz,
Ihnen schließt die Pforte
Nimmer auf das taube Herz.
Sag', was ist ein Richter
Göttin! gegen Dichter?
Unter Sang und Tönen
Geh 'n des Dichters Tage hin,
In dem Reich der Schönen
Bleibt das Leben ewig grün,
Und des Herzens Friede
Blühet aus dem Liede.
Ewiges Gebelle
Hörest du vor dem Gericht,
Ueber seine Schwelle
Tritt die süße Ruhe nicht.
Tobendes Entzweihen
Unter den Partheien!
Laster, die Megäre
In der Hölle ausgedacht,
Treten zum Verhöre
Aus des Kerkers dumpfer Nacht;
Schwerter, sich zu rächen,
Drohen dem Verbrechen.
Streit auf Streit zu schlichten,
Ist des Richters Tagespflicht;
Nur in Nachtgeschichten
Weiter kennt er's Leben nicht;
Seine Sonnengänge
Decken Uebehänge.
Schwere Träume schrecken
Auf den Richter in der Nacht;
Gold'ne Bilder wecken
Nie ihn, wenn der Tag erwacht.
Um sein Lager ranken Blutige Gedanken
In den Pieriden
Himmelhellen Götterhain,
Unterm Duft der Blüthen
Schlaft der frohe Sänger ein,
Und ihn wecken wieder
Nachtigallenlieder.
Raubgesinde, Diebe
Bleiben ihm auf ewig fern,
Mit dem Gott der Liebe
Schaffet nur der Dichter gern;
Amor unter Scherzen
Stichlet bloße Herzen.
Sag' nun soll ich richten?
Göttin! Nein ich richte nicht!
Dichten will ich, dichten
Trotz der Worte ernster Pflicht!
Muß es doch gerichtet sein:
Laß die Kunst mir nebendrein!
Gericht und Kunst, das wäre
allerdings ein Thema für sich.
Oberste Justizstelle und Hofgericht
Bamberg existierten bis zur tiefgreifenden
Verwaltungsreform von 1808. 1806 erlangte der
bayerische Kurfürst die Königswürde; Bayern
verstand sich fortan als Einheitsstaat, nicht mehr
als Summe von Fürstentümern und sonstigen
Herrschaften. Dieser Wandel im Staatsverständnis
wird sichtbar am Titel und am Wappen des bayerischen
Kurfürsten bzw. Königs. Ab Herbst 1804 führte er
führte ein vielfeldriges Wappen, das die Symbole der
verschiedenen in Bayern aufgegangenen Fürstentümer
enthielt; entsprechend die Titulatur:
Maximilian Joseph, in Ober- und Niederbaiern,
der obern Pfalz, in Franken, zu Kleve und Berg
Herzog, Fürst zu Bamberg, Würzburg, Augsburg,
Freising und Passau, Fürst und Herr zu Kempten,
Landgraf zu Leuchtenberg, gefürsteter Graf zu
Mindelheim, Graf in der Mark, zu Ravensberg,
Ottobeuren und Helfenstein, Herr zu Ulm, Rothenburg,
Nördlingen, Schweinfurt, Wettenhausen, Roggenburg,
Ursberg, Elchingen, Söflingen, Irrsee, Memmingen,
Ravensburg, Wangen, Kaufbeuren, Buchhorn, Leutkirch
und Bopfingen etc., des heiligen römischen Reichs
Erzpfalzgraf, Erztruchseß und Churfürst." Nach
der Erhebung zum König und dem Ende des Alten Reichs
bestand das Wappen bloß noch aus einem Feld mit
weiß-blauen Rauten, darauf ein Herzschild mit
gekreuztem Schwert und Szepter, darüber eine Krone -
Sinnbildern der souveränen Königsherrschaft.
Maximilian Joseph, von Gottes Gnaden König von
Bayern" war nun der komplette Titel. Das
Aggregat der verschiedenen Länder und
Gebiete" wurde, wie Montgelas' engster
Mitarbeiter Georg Friedrich von Zentner (1752-1835)
formulierte, in dem Königreich Baiern
einem, unzertrennbaren einzigen Staate
vereiniget".
In einem solchen Staat konnte es nur
ein oberstes Gericht geben. Die Obersten
Justizstellen wurden zu einem
Oberappellationsgericht in München vereinigt,
bestehend aus zwei Präsidenten, drei Direktoren und
30 Räten. Acht Räte kamen von der Obersten
Justizstelle Bamberg. Der Bamberger Präsident Franz
Wilhelm von Asbeck wurde Leiter der Steuer- und
Domänen-Sektion im Finanzministerium, 1817 dann
Generalkommissär des Untermainkreises; der Direktor
Joseph von Ullheimer wurde, weil er nicht mehr nach
München übersiedeln wollte, wurde in den Ruhestand
versetzt.
Nach französischer Manier wurde das
Land in 15 Kreise" eingeteilt, die nach
Flüssen benannt waren, historische Reminiszenzen
bewußt vermeidend. Der Mainkreis" trat an
die Stelle der Provinz Bamberg; Bamberg als Name
einer Region verschwand. Für einen oder zwei Kreise
existierte fortan ein Appellationsgericht; es war
zweite Instanz in Zivil-und erste in peinlichen
Sachen". Der Präsident des Hofgerichts, Johann
Anton von Ow, wurde pensioniert und kehrte in seine
Heimatstadt Eichstätt zurück. Der Vizepräsident,
Karl August Freiherr von Seckendorff, wurde zum
Präsidenten des neuen Appellationsgerichts
berufen. An seiner Seite wirkte als Direktor Georg
Michael Weber, der 1807 an der Neuschöpfung einer
bayerischen Zivilprozeßordnung mitgearbeitet hatte
und nicht zuletzt dafür 1808 zum Ritter des
königlichen Zivilverdienstordens ernannt wurde;
damit war der persönliche Adel verbunden.
Mit Reden Seckendorffs und Webers
wurde am Neujahrstag 1809 das Appellationsgericht
in dem bisherigen Hofgerichtsgebäude"
feierlich eröffnet. "Die Ehre der Königl.
Baierischen Justitzpflege sei fortan einziges Ziel
unserer Bestrebungen", appellierte Seckendorff.
Sie sei schnell und doch wohl überlegt,
rücksichtslos und strenge wie das Gesetz und doch
billig und milde, wie der Geist der Gesetzgebung, wo
er der richterlichen Wilkühr Spielraum läßt; kein
gerechter Anspruch bleibe ungehört, keine
Ungerechtigkeit gelinge; der Bürger freue sich durch
den Schutz der Gesetze und die Thätigkeit des
Richters seiner sichern Existenz, seines ungestörten
Eigenthums, des freien Verkehrs".
Neben Präsident und Direktor
gehörten dem Appellationsgericht acht Räte an
(darunter fünf vom Hofgericht übernommene),
unterstützt von Sekretären, dem Expeditor, den
Registratoren, Kanzlisten, Boten - alles zusammen 22
Personen, die wenig später, wohl 1809, in das
Schloß Geyerswörth umzogen. Dort blieb das Gericht
bis 1903.
Damit ist allerdings eine neue Seite
in der Chronik des Oberlandesgerichts aufgeschlagen.